Film-Kritik: Slumdog Millionär

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Slumdog Millionaire from nrachkovski.com on Vimeo.

Regisseur Danny Boyle erzählt die Lebensgeschichte von Jamal, dem Slumdog, anhand einer Spielshow. Der erwachsene Jamal sitzt als Kandidat in der indischen Variante der Fernsehsendung ‚Wer wird Millionär‘ und arbeitet sich erfolgreich von Frage zu Frage. Zu jeder der richtigen Antworten erfährt der Zuschauer in einem Rückblick aus Jamals Leben etwas über die Hauptperson des Films. Jede der Lösungen ist fest mit einem Ereignis im Leben des Slumdogs verbunden. Boyle gelingt es meisterhaft, die unterschiedlichsten Bruchstücke aus der Existenz des bitterarmen indischen Jungen zu einem bunten Ganzen zusammenzufügen …

Glücklich unglückliche Kindheit

Wir sehen den kleinen Jamal mit seinem Bruder Salim im Slum von Bombay glücklich spielend und später zutiefst unglücklich über den gewaltsamen Tod der Mutter. Wir erleben die beiden Jungen, wie sie das Mädchen Latika kennen lernen. Dann sehen wir sie als Halbwüchsige am Taj Mahal geklaute Schuhe an Touristen verkaufen und später bei ihrer Rückkehr nach Bombay, das jetzt Mumbai heißt.  Von dort aus trennen sich die Lebenswege der beiden Brüder. Salim entscheidet sich für das Leben als Helfer eines Kriminellen, während Jamal als Chai Walla in einem Callcenter Botengänge für die Telefon-Agenten erledigt und ihnen Tee bringt. Jamal träumt von einem unbeschwerten Leben mit seiner Kinderliebe Latika, das ihm ein Gewinn in der Fernsehsendung ‚Wer wird Millionär‘ ermöglich soll.

Unbändig Lebendig

Die drei Hauptfiguren, Jamal, Salim und Latika sind getrieben von unbändigem Lebenswillen, dem sich keiner entgegenstellen kann. Mit traumwandlerischer Sicherheit gelingt es den dreien zu überleben. Wie kleine Wirbelwinde fegen sie zur Musik von Indiens Star-Musiker A. R. Rahman in Lumpen durch verfallene Hütten und verdreckte Straßen und geben ein unbändiges Tempo vor. Der Schnitt passt sich diesem Rhythmus an und verlangsamt sich deutlich, um so älter Jamal, Salim und Latika werden. Das Unbeschwerte geht verloren, aber nie die Hartnäckigkeit, mit der Jamal sein Ziel verfolgt. Danny Boyle gelingt es, verschiedene Zeit- und Handlungsebenen zu einer runden Geschichte zusammen zu fügen. Die drei Hauptpersonen werden jede durch gleich drei verschiedene Schauspieler dargestellt. Besonders die drei jüngsten Darsteller – unter anderem Rubina Ali und Azharuddin Ismail – haben mich begeistert, weil sie völlig authentisch wirken. Kein Wunder, denn sie stammen tatsächlich aus einem der zahlreichen Elendsviertel.

Die indische Perspektive

In Indien wurden Kritiken laut, da sich der Film dem Land aus einer völlig anderen Perspektive nähert, als dies indische Filmproduktionen tun. Ich habe bisher nur zwei bekannte Kinofilme aus Bollywood gesehen, aber in beiden ging es um recht wohlhabende Familien, die ausschließlich westlich gekleidet in schönen Häusern lebten und sich zu meiner großen Enttäuschung überwiegend in Großbritannien aufhielten. Danny Boyle dreht jetzt einen britischen Film in Indien. Kein Inder sollte einem Briten vorwerfen, was die einheimische Filmindustrie ständig tut. Das Indienbild, das Slumdog Millionär vermittelt, ist zwar brutal, aber eben auch bunt und lebensbejahend. Westliche Kritiker, die den Slum nicht ganz so farbig sehen wollen, sollten wissen, dass auch im Slum gelacht werden darf. Kein Slumdog ist zum ewigen Traurig-Sein verpflichtet. Wie eben in jedem Leben, geht es auch bei Jamal, Salim und Latika um glückliche und traurige Zeiten – nur in viel extremerer Ausprägung. Das passt gut zu Indien, das sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Land der Extreme entwickelt hat. Deswegen liebe ich diesen Film.

22 März 2009

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